Imaginations
IQ-FAQ
von Mensa
IQ -- oder: Was Sie schon immer über Ihre Intelligenz wissen
sollten, aber nie zu fragen auf die Idee gekommen sind, weil Sie
ja schon alles darüber wissen
Gerade im Bereich Intelligenz und Intelligenzdiagnostik gehört
noch vieles zum sogenannten "alltagspsychologischen" Wissen, was
mittlerweile vom wissenschaftlichen Standpunkt aus als veraltet
oder schlichtweg falsch anzusehen ist.
Aus diesem Grund sollen hier die am häufigsten gestellten Fragen
zu den genannten Themen knapp, verständlich und wissenschaftlich
fundiert erläutert werden. Leser mit einem ausgeprägten Fachwissen
in diesen Bereichen mögen vorkommende Vereinfachungen und eine
geringe Darstellungstiefe nachsehen -- dieser Text soll wichtige
Punkte erläutern und Voruteile ausräumen, aber nicht den Laien zum
Experten machen.
Disclaimer: Dieser Text stellt keine offizielle Verlautbarung von
Mensa dar -- mensa itself holds no opinion! Dieses FAQ ist das
Produkt einer Zusammenarbeit verschiedener an diesem Themenkreis
interessierten Personen, von denen zufällig auch einige
Mensa-Mitglieder sind.
A. Einführung
Wer sich als Mensaner vorstellt, muß immer wieder dieselben
Vorurteile aus dem Weg räumen. Intelligenz hat in Deutschland eine
andere gesellschaftliche Bedeutung als im angloamerikanischen
Raum, wo man sie als das sieht, was sie faktisch ist: eine
Persönlichkeitseigenschaft unter vielen. Hochintelligente Menschen
müssen keineswegs schöner, besser, kreativer und erfolgreicher
sein als weniger intelligente, aber sie sind auch nicht
zwangsläufig ehrgeiziger, berechnender oder eigenwilliger als der
Durchschnitt.
Dies ist eine Haltung, die man vielen Deutschen erst einmal
veranschaulichen muß. Hier hat Intelligenz immer noch den Status
einer Meta-Eigenschaft, von der man einfach nicht genug haben kann
-- man darf alles sein, nur nicht nicht besonders intelligent. Ein
Verein von außergewöhnlich intelligenten Menschen ist aber
wiederum zwangsläufig elitär und seine Mitglieder eingebildet.
Wenn Mensaner dann zu recht antworten, daß sich
Führerscheinbesitzer auch in einer nachgewiesenen Befähigung von
anderen unterscheiden und ihnen mit diesem Nachweis Möglichkeiten
offenstehen, die diesen anderen verwehrt sind, tun sie sich etwas
schwer, das mit Intelligenz und Mensa auf eine Stufe zu stellen --
aus den oben genannten Gründen.
Das Rätsel Intelligenz
Nicht-Psychologen stellen sich unter Intelligenz immer etwas
Großartiges und Umfassendes vor, viele Psychologen hingegen als
etwas sehr Nüchternes -- eben als ein Rädchen von den vielen, die
uns am Laufen halten. Es gibt keine einheitliche Definition von
Intelligenz, und es gibt fast ebensoviele Theorien über sie wie
Forscher, die sich mit ihr befassen. Den meisten Theorien ist aber
gemeinsam, daß sie Intelligenz als eine Fähigkeit sehen, sich in
neuen Situationen durch Einsicht zurechtzufinden oder Aufgaben
durch Denken zu lösen. Entscheidend ist aber, daß dies nicht durch
Erfahrung, sondern die schnelle Erfassung von Beziehungen
ermöglicht wird. Mit anderen Worten: Intelligentere haben im
allgemeinen schneller den Überblick über ein unbekanntes Gebiet.
Doch wenn es so viele Theorien über Intelligenz gibt, wie will man
sie dann messen? Die ersten wirklich großen Intelligenztests
wurden von den amerikanischen Streitkräften eingesetzt, um unter
Tausenden Rekruten erfolgversprechende Offiziersanwärter zu
finden. Hinter jedem Test steht eine eigene Theorie, die bestimmt,
was der Entwickler des Tests unter Intelligenz versteht; nur das,
was er dabei als wichtig erachtet, wird auch gemessen. Dies hat
zur Folge, daß viele Leute Schwierigkeiten haben, in
Intelligenztests wirklich etwas zu sehen, das jenes große
Unbekannte mißt, das sie selbst als Intelligenz betrachten. Aus
dem gleichen Grund bezeichnen Psychologen diese Tests meist auch
nicht als Intelligenz-, sondern IQ-Tests, und es wird jene seltsam
klingende, klassische Definition verständlich, die da lautet
"Intelligenz ist das, was der IQ-Test mißt."
Der IQ
Der Intelligenzquotient (IQ) ist eines der ältesten Maße für
intellektuelle Begabung. Wilhelm Stern prägte diesen Begriff 1912.
Er verwendete für jede Altersstufe Aufgaben, welche Personen des
entsprechenden Alters im allgemeinen lösen konnten. Im endgültigen
Test begannen die Getesteten dann mit den Aufgaben für die
unterste Altersstufe und arbeiteten sich so lange hoch, bis sie die
Aufgaben nicht mehr lösen konnten. Kam ein 18jähriger nur bis zu
den Aufgaben der 16jährigen, war er für sein Alter
unterdurchschnittlich, kam er bis zu denen der 21jährigen,
überdurchschnittlich intelligent. Um diese Ergebnisse besser
handhabbar zu machen, bildete Stern den Intelligenzquotienten: Er
teilte das den gelösten Aufgaben entsprechende "Intelligenzalter"
(IA) durch das tatsächliche "Lebensalter" (LA) der Person. Spätere
Forscher multiplizierten das Ergebnis dann mit 100, um
Nachkommastellen zu vermeiden.
Mit den Jahren wurden immer mehr methodische Probleme dieser
Berechnung offenbar, so daß man bald dazu überging, den IQ als
Abweichung einer Person vom Mittelwert ihrer Altersgruppe zu
definieren, so etwas wie die Bestimmung eines "Intelligenzalters"
aber zu vermeiden; der Begriff IQ blieb dennoch bis heute. Die
neue Sichtweise des IQ brachte aber ein anderes Problem:
Abweichungen von einem Mittelwert kann man in der Statistik
vielfältig ausdrücken. Die meisten IQ-Skalen haben ihren
Mittelwert bei 100, aber sie sind verschieden gestreckt. So
markiert ein IQ von 130 in einer Skala vielleicht die Grenze zu
den oberen 2%, in einer anderen liegen u.U. 10% der Bevölkerung
noch darüber. Deshalb sagt die Nennung eines IQ-Wertes allein
überhaupt nichts aus; insbesondere in den Vereinigten Staaten
werden Tests eingesetzt, deren Skalen bis weit über 200
hinausgehen, weswegen man Boulevard-Meldungen von Rekord-IQs mit
Vorsicht genießen sollte.
War Goethe Mensaner?
Wo wir gerade bei Boulevard-Meldungen sind: Vorsicht ist auch bei
"fossilen IQs" angesagt.
Gelegentlich stößt man in den Medien auf Angaben zu den
(angeblichen) schwindelerregend hohen IQs prominenter
Verblichener, die gerne als Genies bezeichnet werden, z.B. Mozart,
Goethe oder in jüngerer Zeit auch Einstein.
Diese Attribuierungen gehen -- zumindest vom Ansatz her -- auf einen
Versuch von Terman in den 20er Jahren zurück, die IQs prominenter
Persönlichkeiten anhand biographischer Informationen retrospektiv zu
"schätzen". Das Ergebnis wurde von seiner Mitarbeiterin Cox (1926)
veröffentlicht und ist methodisch schlicht nicht vertretbar -- ebensogut
könnte man versuchen, den Blutdruck aus biographischen Daten (oder direkt
dem Kaffeesatz) herauszulesen. Das scheint die Verbreiter dieser
erschätzten Genie-IQs jedoch nicht zu stören, so daß man ihnen getrost
noch ein langes Leben prophezeien kann.
"Genie"?
"Hochintelligente" Menschen (solche mit hohen IQ-Werten in standardisierten
IQ-Tests) werden -- spätestens von den Medien -- gelegentlich auch als
"Genies" bezeichnet. Auch Mensa wird ab und zu als "Genie-Club" bezeichnet
-- was sich bei kurzem Nachdenken als unsinnig herausstellen muß: Wo halten
sich die 1.6 Millionen Genies versteckt, die statistisch für eine Mensa-
Mitgliedschaft in Frage kommen?
Auch in der wissenschaftlichen Literatur wird gelegentlich versucht, des
"Genies" habhaft zu werden, indem der Ausdruck mit extrem hohen IQ-Werten
(obere 0,1% und höher) assoziiert wird. Solche Versuche der Reduktion des
"Genies" auf wenige Merkmale führten jedoch nicht weit, da für das
Phänomen, was wir als "Genie" bezeichnen, offensichtlich mehr vonnöten
ist, als die Fähigkeit, IQ-Tests gut zu lösen. So schreibt Weisberg
in "Kreativität und Begabung" (1989):
"Auch wenn diese Annahme so plausibel erscheint, daß man es für absurd
halten könnte, sie überhaupt zu formulieren, hoffe ich, zeigen zu können,
daß 'Genialität' kein psychologisches Merkmal und auch keine Gruppe von
Merkmalen eine Individuums darstellt und sich nicht wie der IQ messen
läßt."
Kreativität, Musikalität, Intuition, Soziale Kompetenz, Expertenwissen
etc. sind Aspekte des menschlichen Verhaltens, die wir mit einem IQ-Test
nicht erfassen können. Es wäre daher töricht, anzunehmen, daß der IQ jenes
Maß aller Geistesdinge ist, als das er in den Medien gerne zelebriert --
oder beschimpft -- wird.
Die richtige Frage?
Wenn wir herausfinden wollen, was jene "Intelligenz" ist, die sich
Mensa auf die Fahne geschrieben hat, so müssen wir von der naiven
Vorstellung abschied nehmen, der IQ sei eine in unsere
Hirnwindungen eingebrannte Zahl, die wir auf magische Weise
fehlerfrei messen können -- und die eine umfassende Antwort auf
die Frage nach unseren kognitiven Fähigkeiten gibt.
Eine Zahl wie die "42" als Antwort auf die berühmte Frage nach
"dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest" ist nur
irreführend, solange wir die dazugehörende Frage nicht richtig
verstanden haben.
Das Ziel unserer Anstrengungen sollte es also sein, die Frage zu
verstehen, auf die wir in Form des IQ die Antwort zu haben
glauben. Daß wir dabei oft auf mehr Fragen als Antworten stoßen
werden, sollte uns dabei nicht entmutigen.
B. Intelligenz
1. Was ist Intelligenz? Welche Theorien über Intelligenz gibt es?
Um einen Menschen und Unterschiede zwischen Menschen zu
beschreiben, ziehen wir eine ganze Reihe von Merkmalen heran.
Während man sich aber auf die Definition eines Merkmals wie der
Körpergröße recht einfach einigen und man Körpergröße auch leicht
messen kann, ist Intelligenz ein theoretisches "Konstrukt": Zum
einen können verschiedene Menschen unter dem Begriff "Intelligenz"
etwas anderes verstehen, zum anderen ist Intelligenz etwas, das
man nicht direkt messen kann, sondern für das man etwas messen
muß, das man für ein Anzeichen von Intelligenz hält; ein
Intelligenztest ist quasi eine Sammlung von Aufgaben, bei denen
die Konstrukteure des Tests davon ausgehen, daß sie Aufschluß über
die Intelligenzleistung des Getesteten geben können. Wir werden
weiter unten im Zusammenhang mit Intelligenztests zurückkommen.
Bis dato konnte man sich nicht darauf einigen, welche Indikatoren
die besten für Intelligenz sind, und demzufolge gibt es auch keine
allgemein anerkannte Definition von Intelligenz; Mensa vertritt
auch keine eigene Definition.
Stern z.B. definiert Intelligenz als die Fähigkeit, das Denken auf
neue Anforderungen einzustellen bzw. als allgemeine geistige
Anpassungsfähigkeit an neue Aufgaben und Bedingungen des Lebens;
Wechsler versteht sie als die zusammengesetzte oder globale
Befähigung eines Individuums zu verstehen, zweckvoll zu handeln,
vernünftig zu denken und sich erfolgreich mit seiner Umwelt
auseinanderzusetzen; Hofstätter spricht hingegen von der
Befähigung zum Auffinden von Ordnungen im überzufälligen
Nebeneinander und Nacheinander von Ereignissen.
"Gemeinsam ist indessen den meisten Definitionen, daß sie als das
wesentliche Moment der Intelligenz die Fähigkeit bezeichnen, sich
in neuen Situationen auf Grund von Einsichten zurechtzufinden
oder Aufgaben mit Hilfe des Denkens zu lösen, ohne daß hierfür
die Erfahrung, sondern vielmehr die Erfassung von Beziehungen das
Wesentliche ist." (Dorsch, Psychologisches Wörterbuch, 1994)
Alle genannten Definitionen beschreiben in erster Linie, wie
Intelligenz nach außen hin in Erscheinung tritt -- eine andere
Frage ist, wie sie letztlich aufgebaut ist. Im folgenden möchten
wir einige der bekannteren Intelligenz-Theorien vorstellen.
Spearman formulierte bereits 1904 seine "Zwei-Faktoren-Theorie":
Allen geistigen Funktionen -- und die faßte Spearman sehr weit --
liegt ein und dieselbe "allgemeine geistige Fähigkeit g" zugrunde,
die zusammen mit dem für die jeweilige Funktion "spezifischen
Intelligenzfaktor s" die Leistung in dieser Funktion ausmachen. So
läßt sich auf einfache Weise erklären, daß manche Menschen
generell bessere intellektuelle Leistungen erbringen können --
ihre allgemeine Intelligenz ist hoch --, andere hingegen besonders
ausgeprägte s-Faktoren haben, d.h. zum Beispiel ein sehr gutes
räumliches Vorstellungsvermögen besitzen, während ihre anderen
intellektuellen Leistungen eher durchschnittlich sind. Weitere
Forschungsergebnisse zeigten aber bald, daß die s-Faktoren
untereinander nicht unabhängig voneinander sind, und Mitarbeiter
von Spearman differenzierten die Theorie später.
Thurstone schlug in den 30er Jahren vor, die Theorie eines
allgemeinen Intelligenz-Faktors ganz aufzugeben, und setzte an
seine Stelle sieben "Primärfaktoren", die in Kombination die
Leistung einer geistigen Funktion bestimmen sollen:
-- numerisches Denken,
-- schlußfolgerndes Denken,
-- Wortverständnis,
-- Wortflüssigkeit,
-- Raumvorstellung,
-- Wahrnehmungsgeschwindigkeit,
-- Gedächtnis.
Im Laufe der Zeit mehrte sich die Anzahl der geistigen Funktionen,
die die Wissenschaftler definierten. Als Guilford 1964 nach 50
Jahre Intelligenzforschung Kassensturz machte, zählte er bereits
knapp 60 verschiedene Funktionen; zur Systematisierung wählte er
ein Würfelmodell mit drei Achsen: Jede geistige Funktion kann
danach unterschieden werden, was für Material man verarbeitet
(Sprache, Bilder, Handlungen, Symbole wie Zahlen, wie man es
verarbeitet (Erkennen, Bewerten, Erinnern, Kombinieren oder
Differenzieren) und was dabei als Produkt herauskommen soll
(Klassen, Beziehungen, Implikationen u.ä.). Aus der Kombination
von vier Inhalts-, fünf Operations- und sechs Produktklassen
ergibt sich eine theoretische Anzahl von 120 Funktionstypen. Bis
heute glaubt man, knapp 100 davon identifiziert zu haben, während
manche Kombinationen so abenteuerlich sind, daß man sich kaum
vorstellen kann, wie eine derartige Funktion aussehen soll.
Häufig zitiert werden zudem die von Cattell geprägten Begriffe der
"fluiden" und der "kristallinen" Intelligenz. Mit ersterem
definiert er eine in Teilen trainierbare Fähigkeit zum Erkennen
von Beziehungen und Problemlösen, während er unter dem zweiten die
Fähigkeit zum Lösen abstrakter Probleme versteht, die auf
erlerntem Wissen -- inclusive der Anwendung fluider Intelligenz --
basiert. Während laut Cattell die kristalline Intelligenz im Laufe
des Lebens konstant bleibt bzw. ansteigt, können Aspekte der
fluiden verlorengehen, wenn sie nicht trainiert werden.
Seit den 80er Jahren kommen vermehrt die sogenannten
Informationsverarbeitungsansätze ins Gespräch, wie z.B. der von
Sternberg: Denken und Problemlösen werden als Prozesse betrachtet,
die mit den Abläufen in einem Computern vergleichbar sind;
Intelligenz wäre demnach davon abhängig, wie gut und wie schnell
die einzelnen Komponenten dieser Prozesse ablaufen und wie sie
funktionell miteinander verbunden sind. Der Vorteil dieses
Ansatzes liegt darin, daß nun endlich auch neben akademischen auch
praktische Fähigkeiten mit ein und demselben Intelligenzmodell
abgebildet werden könnten.
Zu guter Letzt sei die Theorie der Multiplen Intelligenz von
Gardner erwähnt. Hier arbeiten sechs Intelligenz-Systeme relativ
unabhängig voneinander und können höchst unterschiedlich
ausgebildet sein; diese Systeme umfassen:
-- sprachliche Intelligenz,
-- logisch-mathematische Intelligenz,
-- räumliche Intelligenz,
-- musikalische Intelligenz,
-- soziale Intelligenz,
-- Körperbeherrschung.
Während die ersten drei Konzepte eher in der westlichen Welt für
wichtig erachtet, kommen die übrigen auch den
Intelligenzvorstellungen östlicher Kulturen entgegen; allerdings
gewinnen sie auch hierzulande immer mehr an Aufmerksamkeit, wie
ein Blick in die aktuellen Bestsellerlisten zeigt (z.B. Golemans
"Emotionale Intelligenz".
2. Stimmt es, daß es "Links-" und "Rechtshirnler" gibt?
Unsere Großhirnrinde besteht physiologisch aus zwei sogenannten
Hemisphären, die deutlich voneinander getrennt sind; betrachtet
man sie genauer, stellt man fest, daß die linke zum größten Teil
aus vielen kurzen neuronalen Verbindungen besteht, während in der
rechten lange Verbindungen überwiegen, die weiter voneinander
entfernte Hirnareale miteinander verknüpfen. Zudem ist in den
meisten Fällen die linke Gehirnhälfte etwas größer als die rechte.
Anfänglich ging man davon aus, daß beide Hirnhälften die gleichen
Funktionen erfüllen, allerdings mit dem Unterschied, daß die linke
Hirnhälfte im wesentlichen die rechte Seite des Körpers und die
rechte die linke Seite des Körpers steuert. Bereits Ende des 19.
Jahrunderts entdeckten aber Physiologen wie Broca und Wernicke bei
Unfallopfern, daß ganz bestimmte Teile der linken Hemisphäre für
grundlegende Sprachfunktionen wichtig sind, während ein Ausfall
der entsprechenden Teile auf rechten Seite keinen Einfluß auf die
Sprache hat: Linke und rechte Hirnhälfte scheinen teilweise
verschiedene Funktionen zu erfüllen.
Diese Vermutung wurde durch die Experimente von Roger Sperry
scheinbar bestätigt: Die beiden Hirnhälften sind physiologisch
voneinander getrennt, werden aber durch einen dicken Nervenstrang,
Balken genannt, verbunden. Zur Behandlung bestimmter Formen der
Epilepsie wird der Balken operativ durchtrennt, um in einer
Hinrhälfte auftretende Anfälle auf diese zu beschränken; durch die
fehlende Verbindung kann sich ein epileptischer Anfall dann nicht
auf die andere Hirnhälfte ausbreiten und ist leichter zu
kontrollieren. Bei diesen sogenannten "split-brain"-Patienten
entdeckte Sperry eine Reihe eigentümlicher Ausfälle, aus denen er
auf die unterschiedlichen Funktionen der beiden Hirnhälfte
schließen konnte. So können diese Patienten zum Beispiel ein Wort,
daß auf der linken Seite ihres Gesichtfeldes steht, mit Hilfe der
rechten Hirnhälfte lesen und mit der linken Hand, die ebenfalls
von dieser Seite kontrolliert wird, schreiben -- sie können aber
nicht sagen, was sie gelesen und geschrieben haben, solange sie
das Wort nicht auch mit der linken Hirnhälfte "sehen"; das primäre
Sprachzentrum scheint also wie vermutet auf der linken Seite zu
liegen.
In der Summe geht man davon aus, daß die linke Hirnhälfte mehr für
gesprochene und geschriebene Sprache sowie mathematische
Fähigkeiten zuständig ist, die rechte hingegen mehr für räumliches
Vorstellungsvermögen und das Erkennen von Mustern. Mit dem "mehr"
sind wir aber auch schon beim Kern der Antwort auf die
ursprüngliche Frage: Es gibt keine "Links-" oder "Rechtshirnler",
weder auf der physiologischen Ebene noch im eigentlichen Gebrauch.
Sogar bei Sperry wies die Mehrzahl der untersuchten Patienten
keine deutlichen Unterschiede in der Funktion der beiden
Hirnhälften auf, bei anderen waren sie sogar im Sinne der Theorie
vertauscht. Tatsache ist zwar, daß meist die Hirnhälfte größer
ist, in der das primäre Sprachzentrum liegt, doch dies muß
keineswegs immer die linke sein -- und daß sie größer ist, muß
noch lange nicht bedeuten, daß wir diese Hälfte mehr nutzen,
sondern nur, daß Sprache so komplex ist, daß ihre Verarbeitung und
Produktion mehr Raum im Gehirn benötigt.
Auf angebliche und tatsächliche Geschlechtsunterschiede im Denken
werden wir an späterer Stelle noch eingehen; hier soll die Frage
ausreichen, wie sich die beiden Aussagen miteinander vereinbaren
lassen sollen, daß Frauen mehr mit der einen, Männer mehr mit der
anderen Hirnhälfte denken, andererseits aber Männer logischer
denken und Frauen sprachlich gewandter sein sollen: Wenn es
nämlich überhaupt eine Differenzierung der beiden Hemisphären
gibt, liegen die Zentren beider Fähigkeiten immer in der selben
Hemisphäre.
Überzeugen mag die Forderung, "mehr mit der rechten Hirnhälfte zu
denken", was heißt, daß wir immer darauf achten sollen, das Ganze
einer Situation zu sehen; das althergebrachte analytische Denken
der westlichen Welt soll dem ganzheitlichen Denken der östlichen
Welt mehr Einfluß einräumen. Eine nette Idee, die aber in
Anbetracht der Tatsachen, daß eine deutliche Bevorzugung einer
Gehirnhälfte meist nicht vorliegt, nicht so ganz greift;
bedeutender ist in diesem Zusammenhang mehr die Größe des Balkens,
der für den Informationsaustausch zwischen beiden Hälften
verantwortlich ist: Integrierendes Denken ist weniger die Frage
des Gebrauchs einer Gehirnhälfte, sondern das Zusammenspiel
beider.
3. Was hat Intelligenz mit Wissen, Bildung und Kreativität und
Erfolg in der Schule oder im Beruf zu tun?
Weniger als man meinen mag. Die unterschiedlichen Werdegänge von
Mensanern, die der Natur nach alle ein ähnlich hohes Potential an
sogenannter "akademischer Intelligenz", wie sie die heutigen
Intelligenztests im wesentlichen messen, besitzen, sind ein
naheliegendes Beispiel dafür. Aber für eine genauere Antwort
müssen wir etwas ausholen.
Der erste Intelligenztest wurde von Binet und Simon zu Beginn des
Jahrhunderts in Frankreich entwickelt, um ein objektives
Instrument zur Hand zu haben, die Eignung von Kindern für
verschiedene Schulformen festzustellen. Der Test wurde später in
den USA weiterentwickelt und wird heute als "Stanford-Binet-Test"
noch immer verwendet. Wissenschaftler entwickelten viele weitere
Intelligenztests, wobei sie lange Zeit darauf achteten, daß die
Ergebnisse dieser neuen Tests mit denen der bereits bestehenden
Tests konsistent waren; so wollten die Wissenschaftler
sicherstellen, daß sie mit ihrem neuen Test auch das maßen, was
man früher einmal als "Intelligenz" definiert hatte. So ist es
nicht verwunderlich, daß sich mit Hilfe des Stanford-Binet und der
daran angelehnten Tests der Schul- und oft auch der
Hochschulerfolg recht gut vorhersagen läßt -- die Tests wurden
nämlich zu genau diesem Zweck konstruiert.
Mit der Zeit sind Wissenschaftler aber dazu übergegangen, den
Intelligenzbegriff weiter zu fassen. So läßt sich mit neueren
Tests wirklich die Fähigkeit, Informationen schnell zu erfassen
und gekonnt zu kombinieren bzw. zu filtern, messen. Dies ist aber
nur eine von den vielen Fähigkeiten, die notwendig sind, um Erfolg
in Schule, Studium oder Beruf zu haben. So sind intelligente
Menschen z.B. nicht automatisch auch fleißig, motiviert und sozial
kompetent. Nicht umsonst gewinnt auch so etwas wie "Emotionale
Intelligenz" in den letzten Jahren z.B. bei Einstellungstests an
Bedeutung.
Ebensowenig wie mit der Vorhersage von Erfolg haben heutige
Intelligenztests mittlerweile noch mit Wissen und Bildung zu tun.
Der Binet-Simon-Test enthielt viele Wissensfragen, die klären
sollten, ob ein Kind schon eine Wissensbasis hatte, die es ihm
gestattete, eine höhere Schule zu besuchen. Heutige Tests
betrachten Intelligenz aber als erfahrungsunabhängig; nur weil
jemand die Gelegenheit hatte, sich ein bestimmtes Allgemeinwissen
anzueignen, muß er nicht zwangsläufig intelligent sein. Auf einen
ähnlichen Punkt werden wir aber noch bei der nächsten Frage
eingehen.
Letztlich hat Intelligenz auch nicht zwangsläufig etwas mit
Kreativität zu tun. Kreativität läßt sich nur sehr schwer messen;
es gleicht dem Versuch aus "Club der toten Dichter", die Bedeutung
von Poeten in einem Koordinatensystem abzutragen. Aus diesem Grund
scheuten und scheuen sich viele Wissenschaftler, Kreativität in
die Definition der akademischen Intelligenz aufzunehmen und sie
als eine davon zunächst unabhängige Eigenschaft zu betrachten.
Manche allerdings definieren Kreativität nicht als "die Schaffung
von etwas grundsätzlich Neuem", was die meisten von uns wohl als
erstes darunter verstehen würden, sondern lediglich als die
ungewöhnliche Kombination von Bekanntem, sodaß diese
Wissenschaftler Kreativität als eine Folge akademischer
Intelligenz ansehen. Nichtsdestotrotz sind die Beziehungen
zwischen gemessenem IQ und objektiver Kreativität -- so es denn so
etwas überhaupt geben kann -- sehr gering.
4. Gibt es Intelligenzunterschiede zwischen Männer und Frauen?
Tests ergeben meist, daß sich Männer und Frauen hinsichtlich ihrer
Intelligenz nicht unterscheiden. Dies stimmt auch für die Summe
der Intelligenz, aber nicht für alle ihre Komponenten.
Man geht davon aus, daß Intelligenz im Sinne von Denkfähigkeit vom
Geschlecht unabhängig ist. Nun hat sich aber z.B. gezeigt, daß
Frauen -- über eine hinreichend große Stichprobe betrachtet -- bei
Aufgaben zum räumlichen Vorstellungsvermögen geringfügig
schlechter abschneiden als Männer, diese den Frauen aber wiederum
in sprachlichen Aufgaben unterlegen sind; beide Aufgabentypen sind
Bestandteil vieler Intelligenztests. Die Unterschiede sind zwar
gering und treten nur bei extremer Beobachtung zutage -- im
täglichen Leben kann man also keineswegs damit zu seinen Gunsten
argumentieren --, sind aber real.
Es gibt eine ganze Reihe von zum Teil haarsträubenden Theorien,
warum es diese Unterschiede gibt. Meist wird evolutionär
argumentiert: Die Männer seien früher primär für die Jagd
zuständig gewesen und hätten ein gutes räumliches
Vorstellungsvermögen entwickeln müssen, während für die Frauen im
Hinblick auf soziale Aktivitäten die Kommunikation wichtiger
gewesen sei. Beweisen lassen sich solche Mutmaßungen ebensowenig
wie widerlegen. Auch daß sich Beweise für unterschiedliche
Denkweisen physiologisch an Ausformung und Tätigkeit des
Gehirns nachweisen ließen, stimmen nur zum Teil. Wie im Falle der
in der letzten Ausgabe beschriebenen Nutzung der linken bzw.
rechten Hirnhälfte lassen sich nur für einige extreme Fälle
Zuordnungen treffen. Das Gros der Menschen unterscheidet sich
darin nicht besonders voneinander.
5. Gibt es Intelligenzunterschiede zwischen verschiedenen Kulturen
bzw. Rassen?
Zwischen verschiedenen Kulturen zeigen sich oft laut
Testergebnissen massive Intelligenzunterschiede. Diese haben ihren
Ursprung aber nicht in einer tatsächlich geringeren Intelligenz,
sondern in der Testkonstuktion. Die meisten Intelligenztests sind
noch immer kulturabhängig, d.h. ihre Aufgaben setzen die Kenntnis
von und die Erfahrung im Umgang mit Denkweisen voraus, die für
eine bestimmte Kultur grundlegend sind. Selbst wenn man in
IQ-Testaufgaben auf Sprache und eindeutig kulturträchtige Symbole
wie Zahlen verzichtet -- wie dies z.B. bei den sogenannten
"culture free"- oder besser "culture fair"-Tests der Fall ist --,
setzen sie meist immer noch die Kenntnis einer bestimmten
Darstellung von Räumlichkeit oder einer stetig in nur eine
Richtung laufenden und nicht umkehrbaren Zeit voraus; wendet man
Tests, die vor dem Hintergrund des abendländischen Kulturkreises
entwickelt wurden, bei Angehörigen anderer Kulturkreise an,
braucht man sich nicht zu wundern, wenn deren Ergebnisse meist
schlechter ausfallen.
Es hat sich gezeigt, daß derartige Unterschiede in den
Voraussetzungen keineswegs gravierend sein müssen. Auch innerhalb
eines Kulturkreises unterscheiden sich die Ergebnisse
verschiedener Bevölkerungsgruppen aufgrund der Testkonstruktion.
So kann man mit eher sprachlich orientierten Intelligenztests
U.S.-Bürger -- selbst wenn ihre Familien schon seit Generationen
in den Vereinigten Staaten leben -- allein aufgrund der
Testergebnisse dem Land zuordnen, aus dem die Familie ursprünglich
ausgewandert ist. Am besten schneiden hierbei (natürlich) die
englischen Einwanderer ab, gefolgt von nord-, dann südeuropäischen
Familien, mit polnischen Einwandererfamilien als Schlußlicht.
Demgegenüber stehen die Ergebnisse der Langzeitstudie von Terman,
der unter den von ihm untersuchten Hochbegabten einen doppelt so
hohen Anteil an ehemals polnischen Juden fand, als ihr
Bevölkerungsanteil hätte erwarten lassen; dies untermauert eine
These, nach der innerhalb des abendländisches Kulturkreises jene
Kulturen besser abschneiden, je länger sie die Schrift kennen und
je höher das Schrifttum geachtet wird.
Ebenso gibt es bei schwarzen U.S.-Bürgern gleicher Schicht und
gleicher Bildung kleine, aber eindeutige IQ-Unterschiede zwischen
solchen, deren Familien in den Nord- und solchen, deren Familien
in den Südstaaten leben. Durch die in den Nordstaaten früher
einsetzende Emanzipation der schwarzen Bevölkerung hat diese bei
Intelligenztests, die ursprünglich für weiße Europäer entwickelt
wurden, noch heute einen kleinen Vorteil; sie hatten mehr Zeit,
sich der weißen Bevölkerung und deren Kultur anzunähern. Gleiches
gilt z.B. auch für nordamerikanischen Indianerstämme, welche die
westliche Lebensweise angenommen haben. Eicht man neue Tests
hingegen an Indianern, schneiden wiederum die übrigen Amerikaner
schlechter ab.
Kurz: Intelligenztests liegt eine bestimmte Definition von
Intelligenz zugrunde, die durch eine Kultur mehr oder weniger
geprägt ist. Dementsprechend wenig aussagekräftig sind die
Ergebnisse von Intelligenzuntersuchungen, die mit einem solchen
Test an Mitgliedern einer Kultur gemacht werden, für die er nicht
konstruiert wurde. Sie denken nicht besser oder schlechter,
sondern anders.
6. Inwieweit ist die menschliche Intelligenz mit der von Tieren
vergleichbar?
Im Grunde gar nicht. Je nachdem wie man Intelligenz definiert,
sind die Menschen unter den Primatenabkömmlingen anscheinend die
intelligentesten, weil sie sich auf die meisten neuen Situationen
angemessen einstellen können.
Oft werden Delphine als die intelligentesten Tiere bezeichnet,
doch sie sind auch das beste Beispiel dafür, daß wir menschliche
Maßstäbe nicht an die kognitiven Leistungen von (anderen) Tieren
anlegen können: Delphine haben sich über Jahrmillionen in einer
völlig anderen Umgebung, den Weltmeeren, entwickelt und sind an
das Leben dort sehr gut angepaßt. Sie verfügen über ein
ausgezeichnetes und komplexes Kommunikationssystem, können sich so
etwas wie dreidimensionale Schall-Seekarten vorstellen und scheinen
sehr lernfähig zu sein. Doch ihre Art wahrzunehmen, zu denken und
mit der Umwelt zu interagieren, unterscheidet sich naturgegeben
vollkommen von der des Menschen -- wie wollte man da Vergleiche
ziehen?
Die Unvergleichbarkeit der menschlichen Intelligenz mit der von
Tieren ist die logische Fortsetzung der oben angesprochenen
Schwierigkeit, die Intelligenz zweier Menschen zu vergleichen, die
in verschiedenen Kulturkreisen aufgewachsen sind; man müßte erst
definieren, was Intelligenz eigentlich ist, und dann Testverfahren
entwickeln, die nur auf allen Arten gemeinsamen Fähigkeiten
beruhen, um wirklich Vergleiche anstellen zu können.
7. Hat Intelligenz einen Sonderstatus unter den menschlichen
Eigenschaften?
Wissenschaftlich nicht, in den Köpfen vieler Menschen schon.
Bereits zur Frage des Zusammenhangs zwischen Intelligenz und
Erfolg wurde darauf hingewiesen, daß es neben einem hohen IQ eine
ganze Reihe anderer, mindestens ebenso wichtiger Eigenschaften
gibt, die für Erfolg wichtig sind. Intelligenz ist sicher ein
psychologisches Konstrukt, mit dem man vieles fassen und das in
vielen Situationen hilfreich sein kann; wer aber mit sich selbst
nicht im reinen ist oder mit anderen Menschen nicht auskommt, wird
sie nicht entfalten können. Wissenschaftler weisen Intelligenz
gegenüber anderen Persönlichkeitseigenschaften keinen besonderen
Stellenwert zu; sie ist nur ein den anderen Eigenschafter
gleichberechtigter Teil des Ganzen.
Insbesondere in Deutschland wird Intelligenz einerseits
hochgehalten, andererseits wird es nicht gern gesehen, wenn man
intelligent ist und es vielleicht sogar noch laut sagt;
Intelligenz wird als eine Über-Eigenschaft gehandelt, die man eben
hat. Wenn man gemessen am Durchschnitt wenig intelligent ist,
versucht man dies möglichst nicht zu erkennen zu geben. Wer
intelligent ist und es explizit sagt, qualifiziert für die meisten
damit die übrigen als Menschen insgesamt ab und ist eingebildet.
In England und den USA wird Intelligenz faktisch als das gesehen,
was sie wirklich ist: Eine Persönlichkeitseigenschaft unter
vielen. Stolz auf seinen hohen IQ ist so unangebracht wie Stolz
auf seine Körpergröße. Wer intelligent ist, kann dafür etwas
anderes nicht, und wer es nicht ist, hat auch kein Pech gehabt.
8. Ist Intelligenz erblich?
Auch. Oft werden die Ergebnisse von Adoptionsstudien zitiert, um
zu belegen, wie stark Intelligenz erblich vorherbestimmt ist. Die
zugrundeliegende Idee ist die, daß die Ähnlichkeit der Intelligenz
von eineeiigen Zwillingen, die bei verschiedenen Familien
aufwachsen, im wesentlichen auf den Erbanteil zurückgeführt werden
kann. Problematisch ist allerdings, daß sich die Familien, die
diese Kinder aufnehmen, selten wirklich unterscheiden. Entwickeln
sich die Kinder was den IQ betrifft ähnlich, muß dies also
keineswegs auf genetische Anlagen zurückzuführen, sondern kann
ebensogut durch das Umfeld bedingt sein. Ganze Familien von Genies
müssen nicht durch Vererbung entstehen, sondern neben den Genen
werden ja auch für die Intelligenzentwicklung förderliche bzw. in
anderen Familien eventuell hinderliche Verhaltensweisen von
Generation zu Generation mit"vererbt".
Man geht heute davon aus, daß Erbanlagen höchstens das mögliche
Maß an Intelligenz beschränken können, ihrerseits aber wenig zur
tatsächlichen Entwicklung beitragen; hierbei sind die
Umwelteinflüsse um ein Vielfaches wichtiger. Wie einem Sportler
aufgrund seines zunächst erblich bedingten Körperbaus gewisse
Leistungsgrenzen gesetzt sind, die er auch bei optimaler Ernährung
und ständigem Training nicht überschreiten kann, scheinen auch bei
der Intelligenz Gene nur das prinzipiell Mögliche abzustecken. Für
die Entwicklung der Intelligenz ist es dann besonders wichtig, wie
die Schwangerschaft und die ersten Lebensjahre eines Kindes
verlaufen. Wenn Angehörige niedrigerer Gesellschaftsschichten im
Durchschnitt auch einen niedrigeren IQ aufweisen als die der
höhreren Schichten, liegt dies fast ausschließlich an einem Mangel
an Entfaltungsmöglichkeiten und Förderung. So gleichen sich von
Angehörigen der Mittel- oder Oberschicht adoptierte Kinder, deren
leibliche Eltern der Unterschicht angehören und einen niedrigen IQ
besitzen, dem höheren Intelligenzniveau ihrer Adoptiveltern an.
Besonders in der letzten Zeit geistern wieder einmal Meldungen
durch die Presse, man habe nun endlich die für die Intelligenz
verantwortlichen Gene lokalisiert. Im jüngsten Fall wurde aufgrund
der Tatsache, daß diese Gene auf dem X-Chromosom lokalisiert
seien, sogar darauf geschlossen daß Frauen im Durchschnitt
intelligenter sein müßten als Männer -- sie hätten ja schließlich
zwei X-Chromosomen. Was für einen vollkommener Blödsinn diese
Schlußfolgerung darstellt, mag jeder einsehen, der nur ein wenig
Ahnung von Genetik hat. Abgesehen davon hat man aber überhaupt
noch keine Gene gefunden, die für Intelligenz verantwortlich
wären: Man hat lediglich solche entdeckt, die Auslöser für
bestimmte Krankheiten oder Störungen sind, die auch eine
Intelligenzminderung nach sich ziehen. Diese Gene als für
Intelligenz verantwortlich zu bezeichnen wäre in etwa so, als ob
man das Vorhandensein eines einzelnen Reifens allein für die
Geschwindigkeit eines Autos verantwortlich machen würde; fehlt es,
mag der Wagen nur schlecht von der Stelle kommen, aber für
Geschwindigkeit an sich ist sicher einiges mehr nötig.
Es ist zweifelhaft, jemals einige wenige Gene für Intelligenz zu
entdecken; die geistige Leistungsfähigkeit des Menschen wird von
mindestens ebensovielen unterschiedlichen Faktoren abhängen wie
seine körperliche Leistungsfähigkeit.
9. Wie entwickelt sich die Intelligenz im Laufe des Lebens?
Über die Entwicklung der Intelligenz gibt es insbesondere im
Bereich der Kindespsychologie zahlreiche Theorien. Am bekanntesten
dürften die Untersuchungen des Schweizers Jean Piaget (1896--1980)
sein. Piaget arbeitete mit Binet und Simon in Paris an der
Standardisierung des ersten IQ-Tests, wobei er sich weniger für
die Zahl der richtigen Ergebnisse als vielmehr den Grund für die
Fehler zahlreicher Kinder im Test interessierte.
Laut Piaget verläuft die kognitive Entwicklung von Kindern in vier
qualitativ verschiedenen Phasen, wobei sie in der Regel ab dem
zwölften Lebensjahr in der letzten und höchsten Phase angelangt
sind. Bis dahin lernen sie mehr und mehr ihre konkreten Handlungen
zu abstrahieren, die Verwendung von Begriffen zu perfektionieren,
um schließlich in rein begrifflichen Systemen -- wie Sprache und
Logik -- zu denken und sie weiterzuentwickeln. Zwar wurde Piagets
Arbeit methodisch kritisiert, doch hat sich letztlich gezeigt, daß
Kinder die von ihm angenommenen Phasen wirklich durchlaufen -- nur
oft sehr viel schneller, als er annahm, und als wir manchmal durch
Tests feststellen können.
Bezieht man die Frage der Entwicklung nur auf die des gemessenen
IQs, wird immer wieder von der bis Mitte der zwanziger Jahre steil
ansteigenden, dann langsam abfallenden IQ-Kurve berichtet. Diese
Kurve ist so nicht richtig, sondern in erster Linie ein Produkt
falsch interpretierter Statistik: Will man die
Intelligenzentwicklung von Menschen beobachten, machen sich
Forscher selten die Mühe, die selben Menschen ihr ganzes Leben
lang immer wieder zu testen, um die Ergebnisse in den
verschiedenen Altersstufen zu vergleichen. Neben anderen Problemen
ist vielen eine solche Längsschnittstudie schlicht zu zeit- und
kostenaufwendig. Deshalb werden dann oft nicht Personen z.B. des
Jahrgangs 1936 alle zehn Jahre getestet, sondern 1996 ein einziges
Mal Personen getestet, die dann gerade 10, 20, 30, 40, 50 oder 60
Jahre alt sind; dies nennt man Querschnittsstudie.
Vergleicht man die Ergebnisse beider Studienarten, wird man
feststellen, daß sich die IQs der Längsschnittgetesteten in den
verschiedenen Altersstufen nicht wesentlich unterscheiden, die
Querschnittsstudie aber genau die oben geschilderte Kurve ergibt:
Nicht der IQ im Laufe des Lebens verändert sich, sondern vielmehr
der IQ im Laufe der Generationen! Heutige IQ-Tests favorisieren
oft geistige Fähigkeiten, deren natürliches Training -- sei es
über Schulinhalte, über die Formen von Spielen oder durch die
Veränderung der Medienwelt -- im Laufe der letzten Jahrzehnte
stetig zugenommen hat; die jüngeren sind in diesem Sinne von
vornherein "klüger" als die älteren Testteilnehmer.
Tatsächlich verlieren wir auch nicht genügend Gehirnzellen, um den
durchschnittlichen Abfall des IQ auf biologische Gründe
zurückzuführen. Die meisten Menschen halten sich einfach nicht
geistig fit genug, um in den IQ-Tests gleichbleibend gute
Ergebnisse zu erreichen. Nachweislich haben z.B.
Hochschullehrerinnen und -lehrer bessere Chancen als gleichaltrige
Personen anderer Berufe, in einem üblichen IQ-Test besser
abzuschneiden, weil sie ihr ganzes Leben lang weiterlernen und
komplex denken müssen, während dies viele andere in meist
wesentlich geringerem Maße tun. Kurz: Mancher wird nicht im Alter
nicht dümmer, sondern verliert nur die Übung, solche Aufgaben wie
die von Intelligenztests zu lösen. Nachweislich reicht ein kurzes
Training, bis solche Personen ihre volle IQ-Leistungsfähigkeit
wieder erbringen können.
Wer sich insbesondere für die geistige Leistungs- und
Lernfähigkeit im Alter interessiert, dem sei das entsprechende
Buch von Tony Buzan und einer seiner Mitarbeiterinnen ans Herz
gelegt, das er auch in einem bemerkenswerten Vortrag im Rahmen von
Mensa's Golden 1996 vorgestellt hat und das demnächst auch auf
Deutsch erscheinen dürfte.
10. Ist Intelligenz trainierbar? Kann man seine Intelligenz mit
BrainFood oder MindMachines steigern?
Intelligenz ist nicht trainierbar. Die Aufgabentypen von IQ-Tests
sind in einem sehr beschränkten Maß trainierbar.
Wie im Zusammenhang mit der Erblichkeit von Intelligenz
beschrieben wurde, nimmt man an, daß die maximal mögliche geistige
Leistungsfähgigkeit eines Menschen genetisch bedingt ist, die
tatsächliche Ausprägung aber von der individuellen Förderung
abhängt. Ebenso wie Kinder gleicher Erbanlage je nach Förderung
und Forderung unterschiedliche IQ-Niveaus ausbilden können, kann
jeder den Typ von Aufgaben, wie sie IQ-Tests im allgemeinen
abverlangen, üben und damit unter Umständen ein besseres
Testergebnis erreichen als er vor dem Training gehabt hätte --
aber ab einem bestimmten Punkt wird ihm Training nicht mehr
nützen, weil er dann sein maximal mögliches Potential ausgebildet
hat. Mit dem Aufgabentyp vertraut zu sein, bedeutet nicht, in der
konkreten -- und vor allem zeitbegrenzten -- Situation auch jede
Aufgabe dieses Typs richtig lösen zu können. Im allgemeinen dürfte
Training einem Getesteten nur eine in gewissem Maß förderliche
Sicherheit geben, weil er im "Ernstfall" durch die Art der
Aufgaben nicht mehr überrascht wird.
Mittlerweile ist der Markt an Geräten, Audio- und Videokassetten
sowie Computersoftware groß, die eine Intelligenzsteigerung
versprechen. Tatsächlich haben sich einige solcher Mittel z.B. im
Rahmen von Schmerztherapien oder als Entspannungshilfen als
nützlich erwiesen, wobei der größte Teil ihrer Wirkungen ein
Placeboeffekt zu sein scheint, d.h. sie funktionieren, nur weil
ihre Benutzer meinen, sie würden etwas bewirken; wer würde sich
auch eingestehen wollen, daß er vielleicht Unsummen für etwas
ausgegeben hat, daß keinen Nutzen hat? Meßbare Intelligenz- bzw.
IQ-Steigerungen konnten aber noch nie belegt werden, obwohl die
Hersteller und Befürworter um die Betonung der wissenschaftlichen
Möglichkeit eines solchen Effekts selten verlegen sind. Weitere
Forschung muß zeigen, ob sich tatsächlich derartige Wirkungen
belegen lassen -- bisher sieht es keineswegs danach aus.
Noch fragwürdiger stellt sich der Markt des sog. "BrainFoods" oder
auch "Weißer Drogen" dar, die natürlich, für den Körper
unschädlich -- sogar nützlich! -- und nicht suchterzeugend sein
sollen. Viele Firmen verdienen hohe Summen durch den Vertrieb von
Rezepten, Zutaten und Fertigprodukten wie Proteindrinks, welche
vor allem Phenylalanin enthalten, das die Gehirnfunktion
verbessern soll. Wolters und Bambeck, zwei Autoren, die solchen
Neuentwicklungen ansonsten nicht sonderlich skeptisch
gegenüberstehen, schrieben 1992 in "BrainPower":
"Sollten diese Präparate Menschen animieren, von schädlichen
'schwarzen Drogen' (Crack, Kokain) auf 'weiße Drogen' umzusteigen
(was der Fall zu sein scheint, auch weil diese Präparate relativ
billig sind), wäre dies ein begrüßenswerter Effekt. Aber auch
'weiße Drogen' haben unerfreuliche Nebenwirkungen, die von
Kopfschmerzen, Migräne, Zunahme des Nasenschleims bis zu
Verstopfung u.a.m. reichen. Zu hohe Dosen können sogar weit
schlimmere Folgen haben wie Gicht (zuviel Ribonukleinsäure),
Halluzinationen (zuviel Calamus), mögliche Leberschäden (zuviel
Aminosäuren) u.a.m. Die tatsächlichen Wirkzusammenhänge sowie der
Anteil des Placebo-Effektes sind in den meisten Fällen sehr
komplex und noch längst nicht durchschaut. Gehirnwissenschaftler
stellten 1989 auf ihrem Kongreß in München zusammenfassend fest,
daß es bislang noch keine Präparate gibt, die den berechtigten
Anspruch darauf erheben könnten, unsere Denk-, Lern- und
Gedächtnisleistung deutlich und nachhaltig zu verbessern!"
11. Wie kann man Intelligenz (insb. bei Kindern) messen? Welche
Probleme gibt es?
Intelligenz ist sowohl in der Alltagssprache als auch in der
psychologischen Wissenschaft ein derart komplexer Prozeß, daß es
vielfältige Definitionen der Intelligenz im allgemeinen und
verschiedener untergeordneter Eigenschaften und Fähigkeiten im
besonderen gibt. Forscher definieren Intelligenz nach ihrem
eigenen Verständnis in diesem Gebiet, um dann Aufgaben zu
entwickeln, die diese Intelligenz, die ihrer ganz eigenen
Definition entspricht, zu messen. Insofern ist die Aussage
"Intelligenz ist das, was der IQ-Test mißt" keine Ausflucht,
sondern wissenschaftliche Methode: Streng genommen mißt jeder
IQ-Test eine andere Art von Intelligenz!
Das Kernproblem der Intelligenzmessung ist neben der Notwendigkeit
einer vorherigen Definition, daß hier nicht-sichtbare Vorgänge
sicht- und meßbar gemacht werden müssen. Wir wissen nicht genau,
was in einem menschlichen Gehirn beim Denken vorgeht, noch können
wir uns auf individuelle Berichte verlassen. So werden IQ-Tests
immer nur einen Teil dessen abschätzen können, was wir im
Alltag unter Intelligenz verstehen, und selbst das werden sie
nur annähernd tun.
Desweiteren gehen die meisten IQ-Tests davon aus, daß Intelligenz
eine Größe ist, die sich im Laufe des Lebens vielleicht
quantitativ ändert, aber nicht qualitativ. Wie aber im
Zusammenhang mit der geistigen Entwicklung erwähnt wurde, scheint
zumindest im Kindesalter eine qualitative Veränderung vorzugehen.
Dies ist einer von vielen Gründen dafür, warum IQ-Messungen
besonders bei Kindern schwierig sind und vor allem bis zu einem
Alter von etwa 10 Jahren keine besonders genauen Vorhersagen über
die weitere intellektuelle Entwicklung der Getesteten erlauben.
Vielmehr scheint sich das IQ-Niveau im Laufe der Kindheit und des
Jugendalters langsam zu stabilisieren.
C. Intelligenz- bzw. IQ-Tests
Die letzte Frage führte uns schon mitten in den Themenbereich der
Intelligenztests, zu dem wir im folgenden konkrete Fragen
behandeln wollen. Viele der Antworten können vergleichsweise knapp
ausfallen, weil sie auf bereits im letzten Abschnitt gestellte
Fragen zurückgreifen.
1. Wie ist der IQ definiert?
Der klassische IQ war als das Verhältnis zwischen Lebensalter und
tatsächlichem Alter definiert. Um eine bessere Vergleichbarkeit zu
gewährleisten, ist er heute als die Abweichung der eigenen
kognitiven Leistung zum Mittel der Menschen des gleichen Alters
definiert, d.h. ein Zwanzigjähriger mit IQ 130 steht in etwa an
der Grenze zu den IQ-mäßig "intelligentesten" 2% aller
Zwanzigjährigen; verglichen mit Dreißigjährigen kann er aber
durchaus schlechter abschneiden. Allerdings ist die
Wahrscheinlichkeit hoch, daß er -- erst einmal zehn Jahre älter --
immer noch an der Grenze zu den oberen 2% aller dann
Dreißigjährigen steht.
2. Was für IQ-Tests und was für Skalen gibt es?
Die Zahl der IQ-Tests ist Legion, und fast ebenso groß ist
Variantenvielfalt an IQ-Skalen. Viele europäische IQ-Tests bieten
Tabellen, um die erreichte Punktzahl in die allgemein
gebräuchliche IQ-Skala mit einem Mittelwert von 100 und einer
Standardabweichung von 15 umzurechnen, aber insbesondere
amerikanische Tests verwenden vollkommen andere Skalen, die auch
so abenteuerliche IQ-Werte wie über 200 ermöglichen. Als Regel muß
gelten: Kein IQ-Wert sagt etwas aus, wenn man nicht weiß, nach
welcher Skala er gemessen wurde. Wenn es in den USA 39 Grad warm
ist, sagt uns das auch nichts, wenn wir nicht wissen, ob es sich
um Fahrenheit oder Celsius handelt... Noch gravierender wird die
Frage nach der IQ-Skala aber durch die oben geschilderte
Definitionsnotwendigkeit: Während Thermometer, ob sie nun
Fahrenheit oder Celsius messen, eindeutig die "gleiche Art von
Temperatur" messen, müssen zwei IQ-Tests noch lange nicht die
"gleiche Art von Intelligenz" messen!
Zu den bekanntesten IQ-Tests zählen der Stanford-Binet-Test, der
Wechsler-Intelligenztests mit seinen deutschen Varianten HAWIE
(für Erwachsene) und HAWIK (für Kinder), der 1970 revidierte
Intelligenz-Struktur-Test von Amthauer -- der IST-70 -- sowie
verschiedene Tests, die auf Raymond Cattel zurückgehen. Während
die letztgenannten Tests ausschließlich Papier-und-Bleistift-Tests
sind, beinhalten die Wechsler-Tests auch einen Handlungsteil, bei
dem praktische Aufgaben gelöst werden müssen.
Während die "einfachen" IQ-Tests nur das Ziel haben, die Höhe der
intellektuellen Begabung abzuschätzen, gehen Tests wie der IST-70
weiter: sie sollen auch eine Einschätzung der Intelligenzstruktur
erlauben, um z.B. beim Einsatz in der Berufseignung
Differenzierungen vornehmen zu können. Die Güte solcher
Interpretationen ist in den meisten Fällen aber sehr ungenau und
unter Psychologen umstritten.
Die Dauer, einen einzelnen IQ-Test abzulegen, schwankt je nach
Anspruch des Tests bzw. der Interpretationstiefe zwischen einer
halben Stunde und vier Stunden.
3. Sind IQ-Tests kulturabhängig?
Ja. Es gibt IQ-Tests, zu deren Lösung weniger kulturell gebundene
Erfahrungen vorausgesetzt werden -- sogenannte "culture
fair"-Tests --, aber absolut kulturunabhängige IQ-Tests gibt es
nicht. Will man wirklich die IQ-Werte von Menschen verschiedener
Kulturkreise vergleichen, sollte man auf so weit wie möglich
kulturunabhängige Tests zurückgreifen, aber dennoch werden
gefundene Unterschiede zu einem großen Teil auf den Test selbst
zurückzuführen sein.
4. Kann man den IQ von historischen Personen "nachrechnen"?
Nein. Es wird immer wieder versucht, den IQ von historischen
Persönlichkeiten aus ihren Werken heraus zu bestimmen, was eine
methodische Unmöglichkeit ist. Man weiß nicht, wie Galilei, Mozart
oder Goethe in einem IQ-Test abgeschnitten hätten. Vor allem müßte
man für eine gute Schätzung wissen, wie ihre Altersgenossen
abgeschnitten hätten... Soweit man weiß, unterzog sich auch
Einstein nie einem IQ-Test; jegliche Vergleiche mit diesem
Vorzeigegenie sind also von vornherein zum Scheitern verurteilt.
5. Wie werden IQ-Tests entwickelt? Standardisiert?
Grob vereinfacht geht der Forscher von seiner eigenen
Intelligenzdefinition aus, wählt Aufgaben, die gemäß dieser
Definition Intelligenz messen und kommt in mehreren methodischen
Schritten zu einem Test, der insbesondere drei methodischen
Gütekriterien genügen muß: Objektivität, Reliabilität und
Validität.
Ein Test ist objektiv, wenn verschiedene Durchführer und Auswerter
bei der gleichen Testperson zu dem gleichen Ergebnis kommen,
d.h. wenn die Person des Testleiters bzw. dessen persönliche
Interpretation keinen Einfluß auf das Testergebnis haben. So ist
zum Messen der Zeit z.B. eine Digitaluhr objektiver als eine
Sanduhr ohne Meßskala.
Ein Test ist reliabel, wenn er bei der gleichen Person über
mehrere Messungen hinweg zu in etwa den gleichen Ergebnissen
führt. Dies gilt natürlich nur für Tests, die eine Eigenschaft
messen sollen, die man als relativ stabil ansieht, wie dies ja
auch bei der Intelligenz der Fall ist. Wenn ein Erwachsener sich
innerhalb eines Monats zweimal dem gleichen IQ-Test unterzieht,
sollte das Ergebnis in etwa gleich sein. Auf die Trainierbarkeit
von Testleistungen und den Einfluß der Tagesform gehen wir an
anderer Stelle ein.
Ein Test ist valide, wenn er wirklich das mißt, was er messen
soll. Eine Uhr eignet sich per se nun einmal recht schlecht, um
die Temperatur zu messen, gleich, wie gut sie messen mag. Im Falle
der Intelligenz hängt es hier natürlich sehr von der
zugrundegelegten Definition von Intelligenz ab, wie valide ein
IQ-Test ist; daher auch die rein pragmatische Erklärung:
"Intelligenz ist das, was der Test mißt."
Natürlich wird man im Fall von IQ-Tests untersuchen, wie gut die
Ergebnisse des neu entwickelten Tests zum einen mit den
Ergebnissen bereits bestehender IQ-Tests übereinstimmen, zum
anderen wird man sogenannte "Außenkriterien" suchen, die aber in
vielen Fällen auch nicht das Gelbe vom Ei sind: Schulnoten sind
hier ein beliebtes und im Falle vieler hochbegabter Kinder sicher
vollkommen falsches Kriterium.
Nun zur Standardisierung: Wenn ein 20jähriger in einem IQ-Test 30
Aufgaben löst, liegt er damit vielleicht genau im Durchschnitt
seiner Altersgenossen; er würde demnach einen IQ von 100
bescheinigt bekommen. Löst aber ein 14jähriger diese 30 Aufgaben,
gehört er vielleicht schon zu den oberen 2% seiner Altersgruppe
und damit -- eine entsprechende Skala des Tests vorausgesetzt --
in den 130er-Werten. Sinn der Standardisierung ist es, diese
Punktegrenzen pro Altersgruppe zu identifizieren, um zu
vergleichbaren Aussagen zu kommen.
Hierfür wird an einer großen Stichprobe untersucht, wie viele
Personen einer Altersgruppe jeweils wie viele Aufgaben des Tests
lösen können. Bei der Aufgabenzahl, die 50% einer Altersgruppe
lösen können, wird für diese Gruppe dann die IQ 100-Grenze
gezogen, die Grenzen für die übrigen IQ-Werte entsprechend.
Natürlich ist das alles in der Praxis viel komplizierter, z.B.
weil die Aufgaben nicht alle gleich schwer sind und
dementsprechend bei der Standardisierung gewichtet werden müssen,
aber das Prinzip ist das geschilderte.
Wenn es Streit über den Sinn und Unsinn von IQ-Tests gibt, dann
meist aus Gründen, die in den genannten Gütekriterien -- vor allem
der Validität und damit der Definition von Intelligenz -- zu
suchen sind. So muß ein Test z.B. eigentlich etwa alle zehn Jahre
neu standardisiert (oder auch "normiert", weil es ja um
Altersnormen geht) werden, weil sich z.B. durch veränderte
Schulausbildung die Zahl der von einer Altersgruppe gelösten
Aufgaben beständig ändern kann. Tatsächlich wird eine solche
Neu-Standardisierung aber wegen des großen Aufwands selten
durchgeführt.
6. Gibt es "den" Mensa-Test?
Nein. Mensa hat keinen eigenen IQ-Test, sondern verwendet
wissenschaftlich anerkannte, psychologische Testverfahren. Auch
sind die Tests der verschiedenen nationalen Mensen
unterschiedlich, zum einen weil es schlicht nicht von einem Test
Versionen in allen Sprachen gibt, zum anderen um
Kulturabhängigkeiten zu entgehen (siehe Frage C3).
Umso wichtiger ist der Bezug auf die IQ-Skala, wenn man IQ-Werte
kommuniziert: Der Wert von 98% ist auf jeder Skala eindeutig zu
identifizieren, während der Punktwert ohne die Nennung der
verwendeten Skala gar nichts besagt.
7. Sind IQ-Tests trainierbar?
Ja und nein. Natürlich kann man versuchen, jeden Test zu
"knacken", indem man sich die Lösungen besorgt und sie auswendig
lernt. Das ist aber wohl weniger als "Training" zu bezeichnen.
Trainiert man IQ-Tests in dem Sinne, daß man die Aufgabentypen,
die üblicherweise in einem solchen Test auftauchen, übt, kann dies
zu einer gewissen Verbesserung des Testergebnisses führen. Dieses
Ergebnis ist aber nicht im eigentlichen Sinne "unfair", da man
seine Fähigkeit, diese Aufgaben zu lösen, nur in dem Maße steigern
kann, wie es die eigene Intelligenz zuläßt. Den Vorteil, den
geübte Testteilnehmer haben, ist auch eher auf die Vertrautheit
mit der Art der Aufgaben und evtl. der Testsituation
zurückzuführen, als auf eine "künstliche gesteigerte" Intelligenz.
8. Wie bereitet man sich am besten auf einen IQ-Test vor?
Erstens indem man sich informiert. Generell sollte man sich
durchaus einmal einschlägige, allgemeinverständliche Bücher über
psychologische Tests ansehen, die es im Bereich der
Bewerbungs-Literatur ja in großer Zahl gibt. Hier ist erläutert,
wie ein solcher Test aufgebaut ist und was für Aufgaben er
enthält. Im Falle des Mensa-Tests hoffen wir natürlich, daß unser
Informationsmaterial den Interessenten die größten Vorurteile und
Ängste nimmt. Im Zweifelsfall kann man natürlich auch zunächst den
Vortest anfordern.
Zweitens indem man die Sache nicht zu wichtig nimmt. Ein IQ-Test,
insbesondere bei Mensa, entscheidet nicht über Leben und Tod. Ein
Test ist nur ein Test, und selbst wenn man ihm blind vertraut --
was man ohnehin nicht tun sollte --, ist die "gemessene
Intelligenz" nur ein klitzekleiner Bestandteil der
Gesamtpersönlichkeit. Daß die hehre Intelligenz in Deutschland
immer noch so hochgehalten und als die Persönlichkeitseigenschaft
schlechthin angesehen wird, ist ein kulturelles Problem, aber
keineswegs psychologisch -- vor allem nicht logisch -- begründet.
9. Beeinflußt die Tagesform das IQ-Testergebnis und wenn ja, wie?
Jeder Mensch ist Stimmungsschwankungen ausgesetzt, und natürlich
kann schlechte Laune das Testergebnis negativ beeinflussen. Außer
an wirklich katastrophalen Tagen wird aber ein Mensa-Interessent,
der eigentlich qualifiziert ist, vermutlich immer noch so gut
abschneiden, daß er in dem Bereich liegt, in dem der auswertende
Psychologe einen kostenlosen Wiederholungstest anbietet.
Ein wenig Lampenfieber vor dem Test kann allerdings gar nichts
schaden, im Gegenteil: Wenn man sehr lässig an eine Aufgabe
herangeht, erreicht man oft nicht sein Leistungsoptimum. Eine
gewisse Erregung ist da sehr förderlich!
10. Welchen Sinn hat der Mensa-Vortest?
Dies sollte man sich nach den vorangegangenen Antworten fast schon
selbst beantworten können: Der Vortest soll mit dem Aufbau und den
Inhalten eines IQ-Tests vertraut machen, damit Interessenten, die
noch nie einen psychologischen Test abgelegt haben, sicherer an
den eigentlichen Gruppentest herangehen können.
Zudem ist der Vortest als "richtiger" IQ-Test im Gegensatz zu den
Spieltests -- wie sie sich z.B. in den Mensa-Info-Broschüren
finden -- eher geeignet, das eigene Intelligenzpotential
realistisch einzuschätzen, und zu sehen, ob sich die Investition
von 70 DM für den Gruppentest lohnen könnte.
D. Hochbegabte
1. Was ist Hochbegabung?
Der Begriff "Hochbegabung" bezieht sich nicht nur auf rein
kognitive Leistungen, wie sie durch den IQ erfaßt werden und die
im folgenden Thema sein sollen, sondern ganz allgemein auf die
Befähigung zu einer ungewöhnlich hohen Leistung auf einem
beliebigen Gebiet. Der "Marland Report" (1972), der über
Untersuchungen zur Begabung und Hochbegabung unter Kindern
berichtete, unterscheidet sechs Kategorien von Leistungsbereichen:
-- allgemeine geistige Leistung
-- spezifische Schuleignung
-- kreatives und produktives Denken
-- Führungsqualität
-- bildende oder darstellende Künste
-- psychomotorische Fähigkeiten
Von diesen ist die erstgenannte "allgemeine geistige Leistung" am
ehesten mit der Intelligenz sensu IQ-Messung gleichzusetzen.
Allgemein bekannt sind "Wunderkinder" in der Musik und im
psychomotorischen Bereich wie z.B. der Leichtathletik. Die übrigen
Bereiche werden insbesondere seitens öffentlicher Förderung bisher
vernachlässigt, auch wenn sich die Situation in den letzten Jahren
schon etwas gebessert hat.
Im kognitiven Bereich spricht man nach einer gängigen -- wenn auch
wenig wissenschaftlichen -- Einteilung bei einem IQ in den oberen
zwei bis drei Prozent von einer "Hochbegabung", bei einem IQ in
den oberen 0,5 Prozent gar von einer "Höchstbegabung".
Generell sagt eine besonders ausgeprägte, nicht primär kognitive
Begabung nichts über den IQ einer Person aus, ebensowenig wie eine
kognitiv hochbegabte Person durch besondere Leistungen außerhalb
des kognitiven Bereiches auffallen muß; vor allem letzteres ist
vielen Menschen nur schwer klarzumachen: Einen hohen IQ zu haben
bedeutet nicht, generell alles besser zu können als andere.
Selbst innerhalb einer Kategorie können Begabungen sehr
unterschiedlich sein. Für die meisten ist offensichtlich, daß
jemand, der hervorragend Klavier spielen kann, nicht unbedingt
auch gut Geige spielen kann. Ebenso sagt aber die Tatsache, daß
jemand ein ausgezeichnetes räumliches Vorstellungsvermögen
besitzt, nichts darüber aus, wie gut er rechnen kann. Beides aber
wird als kognitive Hochbegabung bezeichnet.
Ausgeprägte einseitige Begabungen, durch die sich z.B.
Gedächtniskünstler oder Kopfrechengenies auszeichnen, stellen
natürlich auch eine Hochbegabung dar, bilden aber die Ausnahme.
Vielmehr zeichnen sich die meisten kognitiv Hochbegabten durch
sehr breit gefächerte, aber eben noch überdurchschnittliche bis
weit überdurchschnittliche Fähigkeiten aus.
2. Haben hochbegabte Kinder Probleme in der Schule?
Teils, teils. Zunächst muß sich auch eine kognitive Hochbegabung,
wie eben beschrieben, keineswegs auf alle Wissensbereiche
beziehen. Auch Hochbegabte haben gute und schlechte Fächer.
Das häufig genannte Hauptproblem hochbegabter Schüler ist ihr
mangelndes Interesse am Unterricht, weil sie ihm oft mühelos
folgen und Klassenziele bereits vorwegnehmen können. Diese
Frustration kann so weit gehen, daß die Lehrer ihrerseits den
Eindruck gewinnen müssen, der Schüler habe in Wirklichkeit gar
nichts vom Unterricht verstanden. Diese -- in einigen Fällen ja
durchaus richtige -- Theorie ist mittlerweile so zum
Allgemeinwissen geworden, daß viele Eltern, wenn ihre Kinder
schlecht in der Schule sind, gleich meinen, es sei hochbegabt...
Kurz: Nicht alle Hochbegabte sind schlecht in der Schule, und
nicht alle, die schlecht in der Schule sind, sind Hochbegabte!
Ob sich ein hochbegabtes Kind für den Unterricht interessiert,
hängt vor allem auch davon ab, ob es sich seine dort vielleicht
fehlende geistige Anregung außerschulisch holt. Wenn es den
Unterricht als notwendiges und oft auch interessantes Basiswissen
begreift, auf dem es in seinen Freizeitaktivitäten aufbauen kann,
dürfte es durchaus sehr gute Schulleistungen erbringen.
Es sei noch erwähnt, daß Jungen allgemein mehr als Mädchen dazu
neigen, bei Frustration Verhaltensauffälligkeiten zu zeigen. Dies
führt auch dazu, daß sehr viel mehr hochbegabte Jungen als Mädchen
"entdeckt" werden: Ein Junge, den der Unterricht langweilt,
beginnt, ihn zu stören. Ein gelangweiltes Mädchen hingegen beugt
sich eher dem Gruppendruck, paßt ihre Leistungen denen ihrer
Freundinnen an und bleibt unauffällig. Wie alle
Geschlechtsunterschiede, die mit gesellschaftlichen Normen
verbunden sind, sind natürlich auch diese Mechanismen im Wandel
begriffen.
3. Haben Hochbegabte Probleme im Umgang mit anderen Menschen?
Teils, teils. Es hängt -- wie immer -- auch hier von der übrigen
Persönlichkeitsstruktur des Kindes ab, wie es seinen Umgang mit
anderen Menschen gestaltet.
Je nachdem, wie ein Kind mit seiner Hochbegabung umzugehen lernt,
wird es mehr oder minder große Schwierigkeiten im
zwischenmenschlichen Bereich haben. Als gleichermaßen negativ
wären Entwicklungen zu werten, bei denen sich das Kind aufgrund
dauernder Frustration bzw. dem Gefühl, anders zu sein, mehr und
mehr isoliert, oder sich andererseits zu viel auf seine
vermeintliche geistige Überlegenheit einbildet.
In der Summe gibt es keine eindeutigen Zusammenhänge zwischen
einer Hochbegabung und anderen Persönlichkeitszügen oder der
sozialen Kompetenz. Dies trifft auch auf die vermeintliche "frühe
Reife" und auffällige Ernsthaftigkeit hochbegabter Kinder zu; sie
sind und bleiben letztlich Kinder.
Als einziger Trend läßt sich feststellen, daß sich viele
Hochbegabte unter Älteren oder anderen Hochbegabten wohler fühlen,
weil sie sich mit ihnen geistig "auf einer Wellenlänge" liegend
empfinden.
4. Gibt es besondere Schulen o. ä. Einrichtungen für Hochbegabte?
Ja. In Deutschland gibt es zwei sogenannte Christopherus-Schulen,
die sich schwerpunktmäßig Hochbegabten widmen. Im übrigen wird es
hochbegabten Kindern bzw. ihren Eltern aber noch immer schwierig
gemacht, zur Förderung die traditionellen Schulwege zu verlassen
oder flexibler zu gestalten. Das Überspringen von Schulklassen
wird dabei noch am ehesten zugelassen, wird aber auch von einigen
Psychologen als bedenklich für die nicht-kognitive Entwicklung des
Kindes angesehen.
Einen anderen Weg geht z.B. der Studienkreis, eine
deutschlandweite Nachhilfeorganisation, die seit einigen Jahren in
verschiedenen Städten auch eigene Hochbegabten-Programme anbietet.
In diesen sollen sich hochbegabte Kinder geistig austoben können,
ohne daß sie unterrichtsrelevantes Material "vorlernen" und damit
wieder im Unterricht gelangweilt sind.
Ähnliche Projekte bieten auch die Hochbegabtenförderung e. V. und
die Deutsche Gesellschaft für das hochbegabte Kind (DGhK) an. Die
beiden Vereine unterscheiden sich darin, daß die Hochbegabung von
Kindern in der Hochbegabtenförderung bereit nachgewiesen sein muß,
bei der DGhK aber der begründete Verdacht zur Teilnahme bereits
ausreicht.
Zu guter Letzt haben sich einige Städte und Landkreise die
Förderung von Hochbegabten auf ihre Fahnen geschrieben, allen
voran Münster (Westfalen), wo bereits seit Anfang der Neunziger
Aufklärungsbroschüren herausgegeben und Vortragsreihen angeboten
werden.